Nach 15 Jahren freiberuflichem Lektorat gebe ich zu: Der Name „Null Fehler“ für mein Unternehmen war vielleicht nicht die beste Idee. Er sorgt nämlich hin und wieder für Missverständnisse.
Einige Kund*innen glauben, der Name sei Programm und ich würde ein absolut fehlerfreies Lektorat garantieren. Es sei ganz deutlich gesagt (und in meinen AGB steht es auch):
Das tue ich nicht!
Niemand kann ein perfektes, absolut fehlerfreies Arbeitsergebnis garantieren. Lektorate, die so etwas anbieten, sind unseriös. Sie versprechen etwas, was man einfach nicht halten kann, wenn man manuell – also als Mensch und nicht als Maschine – korrekturliest. Und wenn es dann ums Lektorat geht, kommen wir sogar in Bereiche, wo über die beste Formulierung gestritten werden kann.
Warum null Fehler (meist) nicht möglich sind
Bei einem Info-Faltblatt, einem kurzen Anschreiben oder anderen sehr übersichtlichen Texten ist es sicherlich möglich, Fehlerfreiheit zu erreichen. Je länger der zu lektorierende Text ist, desto unrealistischer wird ein solches Vorhaben.
Das ist nicht nur eine rein menschliche Betrachtung – denn das Erkennen von Fehlern ist nichts, was man automatisieren oder bis zur Perfektion trainieren kann. Je länger ich lese, desto müder werden meine Augen und desto schneller „überlese“ ich Fehler.
Fehlerfreiheit ist auch rein rechnerisch unmöglich zu erreichen.
Dazu ein Gedankenbeispiel: Vereinbare ich etwa eine Fehlerquote von 1 Promille, sollen am Ende meiner Arbeit in einem Text von 100.000 Zeichen noch 100 Fehler enthalten sein (gleich welcher Art). Nur – wie soll ich das nachprüfen? Dazu müsste ich diese 100 Fehler, die ich ja per Vereinbarung übersehen durfte, doch finden und sicherstellen, dass es „nur“ 100 sind.
Keine Sorge: So viele Fehler übersehe ich bestimmt nicht. Trotzdem geht man in der Branche davon aus, dass in einem manuellen Korrekturdurchgang nur etwa 80 Prozent der Fehler gefunden werden (eine maschinelle Korrektur findet 50 Prozent). Im zweiten Korrekturdurchgang, der im Preis meiner Standardlektorats enthalten ist, finde ich also in den verbleibenden 20 Prozent Fehler noch einmal 80 Prozent.
In einem Text mit 100 Fehlern finde ich also im Schnitt 80 Fehler im ersten Durchgang und dann noch einmal 16 Fehler von den verbliebenen 20 Fehlern. Bleiben 4 Fehler, die ich wohl übersehe – es sei denn, wir haben einen weiteren Korrekturdurchgang vereinbart.
Die Grenzen des Lektorats
Auch wenn es schwierig wird: Null Fehler sind natürlich immer mein Ziel, wenn ich einen Auftrag bearbeite. Deshalb halte ich es für wenig zielführend, gleich von Anfang an eine Mindestanzahl an „erlaubten“ Fehlern festzulegen. Ich will sie alle finden!
Es ist außerdem schwierig, einen Wert festzulegen, weil bereits die Ausgangsgröße streitbar ist: Soll ich Fehler an der Wörterzahl oder an der Zeichenzahl festmachen? Ein Fehler besteht aber nicht immer aus einem konkreten falschen Zeichen; er kann auf mehreren Ebenen gemacht werden. Es gibt Typo-Fehler, Zeichenfehler, Grammatikfehler, Syntaxfehler, logische Fehler, sachliche Fehler…
Lektorinnen – und Kundinnen! – müssen sich damit abfinden, dass die Fehlerfreiheit oder die maximal duldbare Zahl von Fehlern in einem Dokument nicht streng als Maßzahl festgelegt werden kann.
So werden Fehler übersehen
Wie gut ein Lektorat ist, hängt nicht nur von der Lektorin ab, sondern von vielen anderen Faktoren: der Art des Dokuments (Papier, Word, PDF, eingescanntes Bild… ), der Fehlerzahl im Ausgangstext, dem Gestaltungsspielraum des Textes (ist es ein Vertrag mit juristischen Klauseln, die exakt so bleiben müssen, oder ein Fantasy-Roman?), der zur Verfügung stehenden Bearbeitungszeit (am besten gestern fertig!), der Zahl der Korrekturdurchgänge…
Auch von Ihnen hängt es ab, ob am Ende Fehler im Dokument zurückbleiben. Das ist vor allem bei PDF-Dokumenten der Fall, wo Sie als Kunde meine Anmerkungen in den Originaltext übernehmen müssen.
- Einige Fehler entstehen bei der Übernahme meiner Änderungen in Ihr Dokument (vor allem bei neuen Zeilenumbrüchen, aber auch neue Tippfehler).
- Einige von mir angemerkte Fehler arbeiten Sie vielleicht bewusst nicht ein, weil Sie meinen, dass das gar keine Fehler sind. Hier hilft am besten eine klärende Rückmeldung.
- Einige Fehler, die ich angemerkt habe, werden von Ihnen bei der Einarbeitung übersehen. Dagegen hilft am besten ein weiteres Kontroll-Korrektorat als Schlussdurchgang, nach dem Prinzip der vier Augen.
Am Ende ist es erfahrungsgemäß schlicht so, dass immer ein, zwei Fehler im Dokument bleiben, die auch in zwei oder mehr Korrekturdurchgängen übersehen werden. That’s life.
Deshalb ist hier vielleicht der richtige Platz, um mich zu bedanken: Bei meinen zufriedenen Stammkund*innen, die mit meinem Lektorat hochzufrieden sind – auch wenn am Ende noch Fehler drin sind.
Wenigstens das kann ich sagen: Wenn ich mit meinem geschulten Auge diese Fehler übersehen habe, dann übersehen sie in 99,9 Prozent der Fälle auch alle anderen Lesenden.